Mario Röllig von der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zu Gast Geschichte zum Greifen nah am Ganerben-Gymnasium Künzelsau

Eine spannende Geschichtsstunde der anderen Art erlebten die Schüler der Klassen 10 bis 13 am vergangenen Montag, 26.09., am Ganerben-Gymnasium Künzelsau. Denn auch wenn das Fach Geschichte oftmals in dem Ruf steht, verstaubt zu sein und man sich unter Zeitzeugen eher ältere Herren mit weißen Rauschebärten vorstellt, so belehrte hier Mario Röllig von der Stasi Gedenkstätte Berlin-Höhenschönhausen seine Zuhörer eines Besseren. Gleich von Beginn der Veranstaltung an lies Röllig keinen Zweifel daran, dass er keinesfalls einem Klischee entsprechen wolle. Es ist nicht nur, dass der jugendlich wirkende, modisch gekleidete Mittvierziger rein optisch dieses widerlegt, vielmehr ist es seine Geschichte, die er erzählen will. Denn nichts verrät, dass dieser Mann Dinge erleben musste, die ihn bis heute prägen. Anderthalb Stunden lang berichtet er von seinem Leben in der ehemaligen DDR, das ihn zum Staatsfeind werden lies. Röllig beschreibt den Schülern eine Welt, die so komplett anders als ihre eigene ist. Eine behütete Kindheit im „real existierenden Sozialismus“, der sonst Andersdenkende bedenkenlos diskriminierte. Eine Diktatur, so Röllig, in der man nie Mensch habe sein dürfen, sondern sich immer der Partei habe unterordnen müssen. Gespannt und mit zunehmender Betroffenheit erfahren die anwesenden Schüler und Lehrer Details einer fremden Welt. Röllig berichtet, wie er unter anderem als Kind wegen eines Beckenbauer-Trickots negativ in der Schule aufgefallen sei. Dabei sei er generell eher unpolitisch gewesen, er war sogar, beinahe eine Selbstverständlichkeit in der DDR, Mitglied sozialistischer Jugendverbände gewesen. Trotzdem ist er nicht konform, fragt kritisch nach und möchte provozieren. Der „soziale Abstieg“, wie er es bezeichnet, beginnt für ihn mit 16 Jahren, als der zu diesem Zeitpunkt als Kellner arbeitende junge Mann sich – in der ehemaligen DDR kaum denkbarals homosexuell outet und kurz darauf eine Beziehung mit einem westdeutschen Politiker beginnt. Die Staatssicherheit der DDR (Stasi) wird daraufhin auf ihn aufmerksam, versucht ihn zuerst als Informanten zu gewinnen. Röllig berichtet wie er ablehnt, wie ihn der „gesunde Menschenverstand“ und seine „innere Haltung“ davon abgehalten hätten, seinen Geliebten zu verraten. Darauf folgte die berufliche Degradierung zum Abwäscher und ständige Überwachung. Die Folge war der Plan zur Flucht aus der DDR im Juni 1987, die über die deutsche Botschaft in Belgrad erfolgen sollte. An der jugoslawischen Grenze wird Röllig schließlich jedoch gestellt, verhaftet und in die DDR überstellt. Röllig schildert eindrucksvoll die verborgene Seite der Diktatur: das streng geheime Gefängnis, die psychische Anspannung, Isolierung und Verunsicherung des damals neunzehnjährigen. Der von Schikanen geprägte Lebensalltag des Gefängnisses und die psychische wie subtile physische Folter bringen ihn in den Monaten seiner Haft an die Grenze seiner Belastbarkeit. Erst nach ungefähr drei Monaten wird er für drei Jahre auf Bewährung aus der Haft entlassen. Er ist jedoch keinesfalls ruhig gestellt, sondern stellt einen Ausreiseantrag und besucht oppositionelle Gruppierungen innerhalb der DDR. Im März 1888 wird er schließlich ausgebürgert und kommt in die BRD. Lange hat ihn seine Vergangenheit verfolgt und auch heute hat sie ihn nicht losgelassen, im Gegensatz zu vielen anderen Opfern des Regimes hat er jedoch die Kraft aufgebracht, sein Schweigen zu brechen, da Reden befreie. Röllig behauptet zu Recht von sich, die Sprache der Jugend zu sprechen und zu verstehen, ohne dabei bedingungslos die ideologische Keule schwingen zu wollen. So ist es kein Wunder, dass der ehemalige politische Häftling mit seiner Geschichte, die zugleich beängstigend und faszinierend ist, den Nerv der Schüler trifft. Letztlich wird er so das Ziel erreichen, das er sich für die Schüler des Ganerben-Gymnasiums gesteckt hat: eine Abkehr von Politikmüdigkeit und angepasster Unmündigkeit hin zu einer aktiven Einstellung zur Demokratie, die es stets engagiert und begeistert zu gestalten gilt. Manuel Wolschke